Autor: Dr. Wendelin Kellner
Ungewöhnliche und irreguläre Römermünzen (Teil 3)
Darf ein Denar einen römischen Kaiser so hässlich zeigen? Ist diese Prägung (Abb. 1) noch regulär? Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.) hat hier auf Grund seiner eingefallenen Wangen eine große, stark gebogene Nase bekommen. Der kleine Mund scheint zahnlos zu sein. Auch der Revers zeigt statt einer edel gestalteten Göttin das Bild einer auf ihrem Sessel sitzenden Matrone. Es gibt von dieser Prägung ausLyon (die man auf Grund der Nennung bei Markus 12,15 gern „Steuergroschen“, „tribute penny“ nennt) auch schönere Exemplare (Abb. 2). Der Avers hat jeweils TI CAESAR DIVI – AVG F AVGVSTVS (Tiberius Caesar, Sohn des Divus Augustus, Augustus) und das Haupt mit Lorbeerkranz nach rechts, der Revers: PONTIF MAXIM (Pontifex Maximus, als Fortsetzung der Avers-Legende) und das Bild der thronenden Concordia mit Lorbeerzweig und Zepter (manchmal auch mit Lanze).
Das Volk wird in dieser Gestalt wohl Livia (Iulia Augusta), die Witwe des Augustus, Mutter des Tiberius gesehen haben. Unter Augustus, seinem Adoptivvater, der kurz vor dem 76. Geburtstag starb, zeigen die Münzen bis ins hohe Alter Bilder, bei denen „der mimische Ausdruck restlos in der idealen Stilisierung zeitlosen Jugendlichkeit aufgeht“ (M. Hofer, in: Kaiser Augustus und die verlorene Republik, Mainz 1988, S. 323). Tiberius wurde mit 56 Jahren Kaiser; damals wurde er so dargestellt, dass er, abgesehen von seiner etwas höheren Stirn, von seinem Vorgänger kaum zu unterscheiden war. Auf den späten Prägungen, zu denen die obige Münze gehört, durfte man Tiberius mit den Spuren des Alters abbilden. Er war ehrlich genug, sein Alter nicht zu verleugnen. Livia, seine im Jahr 29 verstorbene Mutter, die immer versucht hatte mitzuregieren, hat er nicht zu den Göttern erheben lassen.
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